Synodalität: Papst, Bischöfe und die Entscheidungskompetenz
"Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet", verkündete Papst Franziskus 2015 zum 50. Bischofssynoden-Jubiläum. Während die einen Reform-Hoffnungen mit der "Synodalität" verbinden, haben andere Angst um den Wert des Bestehenden. Dabei pflegt man im Vatikan ein klar umrissenes Verständnis von dem, was "Synodalität" bedeuten soll.
Der Papst beauftragte nämlich bereits 2018 die Internationale Theologenkommission, die Bedeutung des Begriffs zu erörtern. Für römische Verhältnisse ungewohnt inklusiv liest man dort, dass gerade Synodalität die notwendige "Aufwertung der spezifischen und qualifizierten Einbringung der Laien – unter ihnen besonders der Frauen – in den jeweiligen Kompetenzgebieten" ermögliche. Was sich modern anhört, hat jedoch seine eigene Logik. So legt das Kirchenrecht fest, dass die Beteiligung von Laien eine Option, aber keine Pflicht ist (Can. 228 CIC). Stets obliegt es den geweihten Hirten, ihre Schäfchen als geeignet zu befinden und ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen – oder eben auch nicht. Das Konzept wird als Prinzip des suo modo bezeichnet, also die spezifische, vom Geschlecht und Stand abhängige Art und Weise des Handelns in der Kirche. Dieses Konzept ist der Kern der amtlichen Synodenvorstellung. Gemäß Kirchenlehre sind Kleriker Kraft göttlicher Einsetzung bevollmächtigt zu lehren, zu ordnen und zu entscheiden. Die von Papst Franziskus stets geforderte Unterscheidung der Geister kommt ihnen qua Berufung und Amt zu – allen voran den Bischöfen. So lehrt es das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) in seiner dogmatischen Konstitution "Lumen Gentium".
Als im Jahr der Klarstellung der Theologenkommission die Statuten für Bischofssynoden angepasst wurden, wurde diese standesabhängige Synodalität auch dort ausgiebig erwähnt. So verwundert es nicht, dass auch die drei Jahre später angekündigte Welt-Bischofssynode zur Synodalität gemäß dieser hierarchischen Spielregeln stattfindet.
Synodalität: Jeder nach seinem Vermögen
Auch das Vademecum wie das Vorbereitungsdokument der Weltsynode erinnern immer wieder an die spezifisch katholische Spielart von Synodalität: Die Laien sollen Zeugnis geben und verkündigen, die Bischöfe lehren, heiligen und regieren. Entscheidungen können also gemeinsam mit Laien gefunden werden, beschlossen werden sie jedoch ausschließlich von Geweihten. Die standesspezifisch geregelten Handlungsoptionen durchziehen jedes Handeln innerhalb der Kirche. An diese Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnern beispielsweise auch die Kardinäle Pietro Parolin, Luis Ladaria Ferrer und Marc Ouellet in ihrem Mahn-Brief zur Errichtung eines Synodalen Rates im Anschluss an den Synodalen Weg in Deutschland: Durch die Bischofsweihe komme allein den Bischöfen zu, "'in hervorragender und sichtbarer Weise die Aufgabe Christi selbst, des Lehrers, Hirten und Priesters, inne[zu]haben und in seiner Person [zu] handeln'" (LG 21). Das sei konstitutiv für Synodalität.
Daher darf auch die Umbenennung des vatikanischen "Generalsekretariats der Bischofssynode" in "Generalsekretariat der Synode" nicht über diese katholische Grundbedingung hinwegtäuschen. Entscheidend ist, was die Bischöfe und insbesondere der römische Bischof, also der Papst, verfügen.
In einem ersten Schritt der Weltsynode wurden Laien weltweit befragt, diese Ergebnisse wurden nach Rom geschickt und in einem Dokument für die kontinentale Etappe (DKE) zusammengefasst. Dieses Dokument wird in der kontinentalen Phase nun erneut besprochen. Dabei sei es Aufgabe der Bischöfe, die Wortmeldungen der Laien zu filtern und einzuordnen, so das Procedere. Es läuft also auch hier nach dem suo modo-Prinzip, wenn das DKE auch betont, die Bischöfe sollten die zuvor mit Laien gemachte Synodalitätserfahrung, respektieren und die verschiedenen Stimmen "treu" wiedergegeben. Was "treue Wiedergabe" bedeutet und was nicht, liegt dabei in der Entscheidungskompetenz der Bischöfe.
Durch göttliche Einsetzung: Bischöfliche Kompetenz der Letztentscheidung
Die Bedeutung der Bischöfe betonte auch Synoden-Chef Grech in einem Interview mit Vaticannews. "Es gibt keine Synode ohne Bischof, weil Bischöfe nicht von der Kirche, sondern vom Herrn beauftragt wurden, ihre Herde zu leiten, zu hüten." In einem Brief, den er gemeinsam mit seinem Co-Organisator Jean-Claude Hollerich schrieb, betonen beide: Durch göttliche Anordnung und Einsetzung besitzen die Bischöfe und insbesondere der Papst die Kompetenz der Letztentscheidung. Die Grenze zwischen Entscheidungsfindung und Entscheiden wird durch die Weihe gezogen.
Dieses binnenhierarchische Kompetenzgefälle beunruhigt bisweilen Würdenträger aller kirchenpolitischen Lager. Während die einen darin eine potenzielle Bevormundung und Übergehung eigener Reformanliegen sehen, warnen andere davor, dass der Papst die Kirche durch zu viel Befragung des Gottesvolkes in ihren doktrinellen Grundlagen umbauen könne. Immerhin: Die Lektüre des DKE zeigt, wie divers und vielfältig Katholiken in aller Welt glauben, denken und leben. Priesterkinder, Frauenweihe und polygame Beziehungen sind nur einige Stichworte des 45-seitigen Vatikan-Papiers.
Kritik aus allen kirchenpolitischen Lagern
Die pointierteste innerhierarchische Kritik an Franziskus' Synodalitätsplänen kam vom jüngst verstorbenen Kurienkardinal George Pell: "Keiner der Synodalteilnehmer, Laien, Ordensleute, Priester oder Bischöfe, ist mit der Synodalregel gut gestellt, dass keine Stimmabgabe erlaubt ist und keine Vorschläge gemacht werden können." Nur die Ansichten des Organisationskomitees an den Papst weiterzuleiten, damit er damit tun könne, was er will, sei ein Missbrauch der Synodalität, wetterte der Kurienkardinal wenige Tage vor seinem Tod. Dabei handle es sich um eine Abgrenzung der Bischöfe, die weder durch die Schrift noch durch die Tradition gerechtfertigt sei. "Es ist kein ordentliches Verfahren und anfällig für Manipulationen."
Ebenfalls kritisiert der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke den Anschein, Synodalität habe auch nur im Entferntesten etwas mit demokratischer Mitbestimmung zu tun. Wo Reformkatholiken Synodalität als katholischen Ausdruck für Demokratie akzeptierten, übersähen sie die semantische Entkernung durch das Lehramt: “Demokratie in Anwendung auf die Kirche bedeutet nicht mehr die aus der gleichen Personwürde zwingend folgende gleichberechtigte Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess. Vielmehr ist sie auf eine allenfalls verfahrensgestützte Umgangsform unter fundamental Ungleichen herunterkatholisiert", schreibt Lüdecke in seinem Buch "Die Täuschung". Der Kirchenrechtler spricht von "symbolischer Partizipation" und "Demokratieersatz", die letztlich zu Frustration und Ermüdung des Kirchenvolkes führten.
Der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, merkte zuletzt an, dass es in Deutschland und Rom grundverschiedene Vorstellungen von Synodalität gebe: "Der Papst versteht darunter ein breites Sammeln von Impulsen aus allen Ecken der Kirche, dann beraten Bischöfe konkreter darüber, und am Ende gibt es einen Mann an der Spitze, der die Entscheidung trifft. Das halte ich nicht für die Art von Synodalität, die im 21. Jahrhundert tragfähig ist", sagte Bätzing. Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hegt gegen das römische Synodalitätsverständnis Vorbehalte. So fragt ZdK-Vizepräsident Thomas Söding im Februar-Newsletter des ZdK: "Ist es etwa göttlichen Rechtes, dass Bischöfe durchregieren?"
Die Ungleichheit gilt derweil nicht nur für Gottesvolk und Hirten – sondern auch für die Hirten untereinander: Auch hier gibt es ein Kompetenzgefälle. So kann der Papst die Bischöfe bei der Entscheidungsfindung befragen, die Entscheidungen zu treffen liegt am Ende jedoch nur bei ihm. Daher handeln auch Bischöfe immer cum (mit) und – wie Franziskus nicht müde wird einzuschärfen – sub Petro (unter Petrus, also dem Papst).
Das zeigte sich ganz konkret bei der Amazonas-Synode 2019: Entgegen dem eindeutigen Votum der bischöflichen Versammlung erteilte der Papst ihrem Ratschlag zur Weihe von verheirateten Männern, den sogenannten "viri probati", eine Absage. Die lauter werdende Kritik aus allen kirchenpolitischen Lagern an Franziskus' Synodalitätsverständnis zeigt, trotz (oder gerade wegen) der Systemimmanenz seines Denkens, wie spannend die nächsten Wochen und Monate der Synoden-Synode für die römisch-katholische Kirche werden für Laien, Bischöfe und nicht zuletzt für den Papst, der ein nachsynodales Schreiben produzieren wird. Ging das Wort bisher vom Kirchenvolk durch das Ohr der Bischöfe zum Papst, ist es dann Aufgabe der Kleriker und Laien, den päpstlichen Entschluss des umzusetzen – und zwar suo modo.